Impuls zur Friedensdekade 2020 in Ahrensburg

Aufgrund der steigenden Corona-Fallzahlen und des teilweisen Lock-Downs haben wir – der ökumenische Familienkreis – uns entschlossen, die Friedensandacht nicht wie geplant in St. Marien stattfinden zu lassen, sondern unseren Impuls auf die Homepages der Kirchengemeinden zu stellen.
„Überwindung von Ausgrenzung“ ist das Thema der diesjährigen Friedensdekade in Ahrensburg.
Dass Menschen in Ahrensburg aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten, ihres Alters, ihrer Religion oder ihrer Lebensumstände vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden, scheint für eine so wohlhabende Stadt wie Ahrensburg eigentlich absurd. Sollten nicht gerade wir hier in der Lage sein, diese Art der Ausgrenzung zu überwinden?
Wir wollen hier nicht den Blick auf die die großen Krisenherde in der Welt, sondern auf Probleme in Ahrensburg richten. Wo gibt es hier „sozialen Sprengstoff“, der uns in unserem friedlichen Zusammenleben bedroht? Ausgrenzung beginnt vor allem dann, wenn

  • man einander nicht mehr wahrnimmt,
  • das Gespräch, der Austausch untereinander abbricht,
  • man die Bedürfnisse anderer außerhalb der eigenen Blase nicht sieht oder leugnet.

Es ist immer einfacher, sich nur mit den Menschen zu umgeben, die genauso ticken, wie man selbst. Alles andere fordert uns mehr heraus, kostet Zeit und macht Mühe. Aber für ein gedeihliches Miteinander ist es unumgänglich nötig.
Diesem Aspekt wollen wir im Folgenden anhand von 3 Bildern nachspüren.

Ausgrenzung durch zunehmende Digitalisierung

Prima, dass wir die Möglichkeit haben die Gedanken zur geplanten Andacht online mitzuteilen. Damit erreichen wir uns , obwohl wir uns nicht sehen können.
Andererseits: Wen schließen wir damit aus? Wer kann nicht daran teilnehmen, weil er keinen Computer oder Smartphone besitzt? Weil er keinen Internetzugang hat? Weil er diese Technik nicht beherrscht?
Automatisch denken wir dabei an ältere Menschen, die sich irgendwann von der rasanten Entwicklung der Technik überfordert sahen und deshalb gemeint haben, dass sie das alles nicht mehr brauchen, die vielleicht auch nicht mehr so gut sehen und hören können.
Ehrlicherweise bin ich nicht gerade technikaffin und daher bei vielen schönen Dingen, die man inzwischen mit den digitalen Medien machen kann, auch außen vor. Aber das ist ein Stück weit ein selbst gewähltes Schicksal.
Aber was ist mit den Menschen jeglichen Alters, die aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht in der Lage sind sich Smartphone, Tablet, Laptop und Co. zu leisten? Wir alle haben davon gehört, wie gerade Kinder aus sozial benachteiligten Familien während des Lock-Downs im Frühjahr schulmäßig abgehängt wurden, weil es zu Hause an den erforderlichen digitalen Geräten fehlte.
Was können wir alle dafür tun, dass Ältere und Ärmere die Chance bekommen digital mitzuhalten?

Ausgrenzung durch Armut

Jedes Jahr werden es mehr Fähnchen auf der Schlosswiese. Ich fahre da morgens immer dran vorbei. Das bedrückt mich. Wirklich arm wäre doch bei uns hier gar keiner, sagte erst kürzlich ein Freund mir ins Gesicht. Aber:
Kinderarmut ist leise. Meistens bekommt man sie gar nicht mit. Dabei sind diese Kinder mitten unter uns. Ein Beispiel, wo es mir doch auffiel, hier in Ahrensburg so geschehen:
Meine 5jährige Tochter hat Besuch von einer Kindergartenfreundin. Wir sitzen in der Küche und ich gebe den beiden etwas zu essen zwischendurch. Als wir den Kühlschrank wieder zu machen, rutscht der Freundin heraus, dass bei ihr zuhause niemals so viel im Kühlschrank wäre. Dabei war unser Kühlschrank in diesem Moment für unsere Verhältnisse sogar sehr leer. Viel später erst erfahre ich den Hin-tergrund der Geschichte. Die Mutter wurde von dem Vater der zwei Kinder sitzengelassen und bekommt keinen Unterhalt, es gibt noch keine rechtsgültige Scheidung. Der kleinere Bruder ist erst anderthalb. Die Mutter kann in ihrem Beruf mit Schichtdienst nicht wieder anfangen, weil die Kinder dann nicht betreut werden können und der Vater ist einfach weg.
Anderes Beispiel, auch hier aus Ahrensburg: Im letzten Winter. Ich stehe morgens um 7:30 h an unserer Bushaltestelle. Mit dem Bus sind es zwei Stationen bis zur Grundschule. Zwei Kinder stehen mit mir an der Bushaltestelle. Bei einem Kind ist der Reißverschluss der Winterjacke kaputt, die Jacke geht nicht mehr zu. Das andere Kind trägt Sandalen. Es ist Winter, wie gesagt, und kalt. Es sind Geschwister, wie ich dem mitgehörten Streit entnehmen kann und sie müssen sich morgens komplett selbst versorgen, anziehen, losgehen. Der ältere, ein Junge, ist sichtlich überfordert mit der Verantwortung, auch noch seine kleine Schwester mit organisieren zu müssen. Ein Frühstück hatten sie offenbar auch nicht. Das alles kann ich mithören. Ich schätze die zwei Kinder auf 1. und 3. Klasse. Was ist mit den Eltern?
Was auch immer die Ursache ist, die zwei Kinder sind unschuldige Opfer.
Armut bedeutet auch, dass sich Kinder nicht mit anderen Kindern verabreden, weil sie z. B. keinen Badeanzug fürs Schwimmbad haben, oder sich schämen, Freunde mit zu sich nachhause zu nehmen.
Es kann bedeuten, dass sie keinen Schüleraustausch mitmachen, weil die Eltern die Fahrtkosten nicht erübrigen können oder die Wohnung zu beengt ist, um einen Austauschschüler unterzubringen.
Arm sind Kinder u.U. selbst dann, wenn die Eltern beide arbeiten und kein Hartz 4 beziehen. Aber das Geld trotzdem fehlt, um den Sportverein, die Tanzschule oder das Mittagessen in der Schulmensa zu bezahlen. Das schmerzt vielleicht in unserer relativ reichen Stadt umso mehr, weil diese Kinder sehen, was für andere alles geht. Bis hin zu den Erzählungen, wo die Kids im Urlaub überall so waren. Manche Mitschüler fliegen 6 Wochen nach Florida, andere aber fahren gar nicht weg. Wo beginnt Armut?

Ausgrenzung durch Heimatlosigkeit

Es gibt jetzt an mehreren Stellen in Ahrensburg diese Container. Ich komme öfter an dem Platz vor dem famila Markt vorbei. Das ist eingezäunte Tristesse pur..Mich schaudert es regelmäßig.
Was würde es mit mir machen, wenn ich dort leben müsste?
Wie schlimm muss es sein, damit ich mich auf eine Flucht begeben würde mit ungewissem Ausgang? Eventuellem Tod unterwegs? Oder Vergewaltigung? Ich bin eine Frau.
Was hätte ich alles durchgestanden, bevor ich dann hier in dieser Tristesse gelandet bin? Am Rande einer Siedlung, ohne Aussicht auf Kontakt zu den Menschen hier, weil ich nämlich räumlich und sprachlich von ihnen isoliert bin.
Ja ich gebe zu, ich fahre auch immer vorbei. Ich weiß nicht, wie ich auf diese Fremden zugehen soll. Mich befremdet so manches Verhalten. Ich habe Berührungsängste.
Und wenn ich ehrlich bin, auch immer wieder Vorurteile.
An meinem Arbeitsplatz ist das ganz anders. Wir sind sowieso schon Multikulti. Und hier gelingt mir der Kontakt, der mir an den Flüchtlingscontainern so schwierig erscheint.
Ja, es ist umso mühsamer, je größer die Sprachbarriere ist. Aber wir haben etwas gemeinsam: die Arbeit und so nehmen wir uns gegenseitig auf Augenhöhe war. Kein Flüchtling, kein Fremder, erst Recht kein Bittsteller oder Bettler, sondern ein Kollege. Der entscheidende Unterschied passiert ja doch wohl in meinem Kopf, in meiner Wahrnehmung!
Wir lernen miteinander voneinander, dass wir sehr verschieden reagieren und dass die Reaktionen oft kulturelle Hintergründe haben, die für den jeweils anderen erklärungsbedürftig sein können.
Auf der Arbeit erleben wir das Jahr miteinander, Weihnachten genauso wie den Ramadan und das indische Neujahrsfest. Wir lachen miteinander und teilen die Sorgen miteinander, und darin begründet wächst das Verstehen, dass wir uns im Kern gar nicht sosehr voneinander unterscheiden.

Herr Jesus Christ, mit dir überwinden wir Grenzen.
Öffne unsere Augen, dass wir die Sorgen und Nöte anderer sehen.
Öffne unsere Ohren, dass wir hinhören und erkennen.
Öffne unsere Herzen, dass wir über unseren Schatten springen und zur Hilfe bereit sind.
Lass uns aufeinander zugehen und Ausgrenzung in Ahrensburg aktiv begegnen.
Segne und begleite uns auf diesem Weg. Amen!

Aufgrund der steigenden Corona-Zahlen musste die Friedensdekade leider ins Internet verlegt werden. Mehr Informationen